Der unter uns, der sich der bekannten Werke „Reden und Schriften“ „führender Persönlichkeiten“ in den schwarzen, braunen oder auch roten Kunstlederbänden erinnert, sollte sich nicht abhalten lassen, sein Wissen um die deutsche Geschichte hier aufzufrischen oder zu vervollständigen. In: junge Welt
Einer, der seinen Überzeugungen bis zuletzt treu blieb. Kurt Goldsteins Vermächtnis
Walter Ruge
Dies ist kein Nachruf - denn er lebt. Kurt Julius Goldstein lebt weiter in den gut zusammengestellten Texten von Dr. Friedrich-Martin Balzer aus Marburg. Völlig unbefangen erzählt diese Legende ihr Leben, ungebrochen von Qualen, Niederlagen und Demütigungen. Da sind die Erlebnisse aus der Kindheit und der erste herbe Schlag des Antisemitismus durch die Sprüche von Studienrat Zimmermann: „Goldstein! Lump! Prolet! Schuft! Schubiak! Schurke! Düsterer Filou! Kommunist! Bolschewik! Raus!‘ Der Bruder hilft ihm darüber hinweg. Das generelle Vertrauen in Menschen besteht seine erste Prüfung. Er betrachtet das Jüdische nicht als etwas Besonderes, eher als etwas anderes. Er stellt es nicht heraus, verbirgt es aber auch nicht. Mensch ist er wie alle anderen auch, Deutscher ist er, Kommunist ist er, Spanienkämpfer, Überlebender von Auschwitz und Jude. Es ist bei ihm wie ein Sahnehäubchen, das anderen versagt wurde. Er zeigt Verständnis für unsereins, möchte es aber auch nicht anders haben. Immer wieder, auch nach den härtesten Schlägen, dieser aufrechte Gang eines Internationalisten, diese Souveränität der einmal erworbenen Persönlichkeit.
Bei allem Elend der faschistischen Lager immer noch diese Portion Humor, Schlitzohrigkeit und vor allen Dingen Geistesgegenwart. Wie er da bei der Musterung der in Auschwitz Eingetroffenen blitzschnell kombiniert: Ich werde sagen, ich sei „einfach Püttman“. Wie das dann einschlägt, wie er sofort zum „Facharbeiter“, ja zum Kapo, sogar zum Oberkapo wird, „Einfluß‘ nicht allein für sich, nein, für seine Genossen gewinnt - großartig, eine richtige Entscheidung im richtigen Moment.
Er ist bereit etwas wegzustecken, wenn es denn der Sache dient. Die Auflösung der VVN in der DDR, seiner Organisation, seines Ziehkindes - wie muß ihn das geschmerzt haben! Im Buch erwähnt er diesen folgenschweren Einschnitt: Die bewährten Kämpfer gegen den Faschismus wurden ihrer politischen Körperschaft entledigt. Sie wurden zu Subjekten der sozial-fürsorglichen Betreuung durch die Dienststellen für Verfolgte des Naziregimes in den Rathäusern. Politisch wurden sie an die bestehenden Parteien und Massenorganisationen verwiesen. Es gab vergleichbare Entwicklungen - blutige - in der Sowjetunion, als sich die Parteiführung komplett der „Gesellschaft der alten Bolschewiken und Partisanen“ entledigte. Ihr Vorsitzender war der jüdische Kommunist Felix Kon. Diese Organisation hatte sich angemaßt, Beschlüsse und Direktiven des Politbüros kritisch zu bewerten. „Wir brauchen kein zweites Politbüro“, hieß es. Kurt Goldstein war viel zu klug, viel zu erfahren, um diese Zusammenhänge nicht zu sehen; aber sie hochzuspielen, das lag ihm nicht.
Besondere Hochachtung verdienen seine persönlichen Konsequenzen aus dem Franco-Putsch und der faschistischen Intervention in Spanien. Ein zutiefst humaner, friedliebender junger Mensch entschließt sich ohne Zögern, sein relativ wohlbestalltes Leben in Palästina gegen einen Karabiner in einem Land einzutauschen, das seit der Inquisition als „judenfrei“ galt. Wieviel Standhaftigkeit wurde den Interbrigadisten, den Rittern der Selbstlosigkeit, nach dem Verrat westlicher „Demokratien“ abverlangt! Sie schauten immer noch vertrauensvoll über die Pyrenäen auf die „freie“ Republik Frankreich. Wie Aussätzige wurden sie dort aufgenommen. Kurt blieb keines der Lager erspart, weder Gurs noch Vernet, wo er schließlich von den Vertretern der Republik Frankreich an die Gestapo ausgeliefert wurde, um nach Auschwitz deportiert zu werden.
Auch die Kehrtwende der sowjetischen Außenpolitik 1939, von der er im Lager Gurs am Nordhang der Pyrenäen erfuhr, meisterte sein nüchterner politischer Kopf Er hat Verständnis für einen Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland; dem „Freundschaftsvertrag“ versagt er indes seine Zustimmung. Diese Verträge haben Millionen Antifaschisten in der Welt zerstritten, besonders, nachdem aus Moskau obendrein die „Weisung“ kam, jedwede antifaschistische Agitation einzustellen. Kurts glasklare politische Orientierung muß erstaunen, ja begeistern. Über seine Gewissensqualen klagte er wieder einmal nicht. Einer, der nicht klagt, gar sich selbst beklagt. So stand er denn auch später, einem Leuchtturm gleich, in den seichten Gewässern der „Wendehälse“.
Das Büchlein erfreut durch eine lange Auswahl von Reden und Ansprachen, die Kurt Goldstein im Laufe der Jahre gehalten hat. Keine Sonntagsreden, sondern Grundsatzgedanken, die immer den Bogen zur Gegenwart schlagen. Mal nimmt er Bezug auf den heuchlerischen Pinochet, mal wieder auf die atomare Bedrohung der Menschheit; er hat ein feines Gespür dafür, was die Menschen bewegt. Seine Mitkämpfer sind geprägte Internationalisten, mit denen er allen Demütigungen, jenen durch seine eigenen Genossen inbegriffen, standhielt.
Der letzte Wunsch Kurt Goldsteins, den er am 11 März 2007 an die 5. Tagung des 10. Landesparteitages der PDS richtete, lautete: „Befürwortet den Antrag (der Kommunistischen Plattform), unsere Überlegungen zum Umgang mit der Geschichte‘ den Basisorganisationen zur Diskussion zu übergeben.“ Wohlgemerkt, er erwartete nicht, der Landesparteitag werde die „Überlegungen“ zu seinen eigenen erklären. Kurts Bitte an den Vorstand beschränkte sich darauf, das Dokument als ein Werk der Unterzeichner zur Diskussion zu stellen, vermittelnd zu sein. Das wurde abgelehnt.
Diese Bitte erwies sich nur fünf Monate später als Kurt Goldsteins Vermächtnis. Er schrieb: „Ich plädiere für eine offene Diskussion über unser Geschichtsverständnis an der Basis der Partei.“ Er wandte sich gegen eine bestimmte Art des Umgangs mit unserer eigenen Geschichte, mit dem Leben unserer Genossinnen und Genossen also. Diese Hemdsärmeligkeit sollte ein Ende haben.“
Mir war vergönnt, Kurt persönlich zu erleben. Er sprach verhalten, war ein Denker, kein klassischer Redner; aber man legte eine Hand an das besser hörende Ohr, um ja nichts zu versäumen. Im Berliner Landesvorstand führte man offensichtlich keine Hand ans Ohr; es ist fatal, im Schatten dieser ganzen „Ehrungen“ als „Veteran“, gar als „Überlebender“ wandeln zu müssen, wenn im entscheidenden Moment unsere Bitten de facto abgewiesen werden, kommt es doch nur darauf an, eine bestimmte „Linie“ durchzusetzen.
Dem Landesvorsitzenden Dr. Lederer und seiner Umgebung ging es um „dieses eigenartige Verfahrensbegehren“. Man habe ein Dokument „zur Diskussion an der Basis“ eingereicht. Die Adressaten bemängeln, daß „Änderungen am Text“ nicht möglich gewesen seien. Um nicht „falsche Eindrücke entstehen zu lassen“, stellt man fest: „Die Überlegungen können selbstverständlich von jeder Genossin und von jedem Genossen gelesen und in die Debatte mit einbezogen werden.“
Einer der „offenbar weit über 100 Delegierten des Landesparteitags“ wurde allerdings deutlicher: „Es ist gut und immer wieder nötig, die Geschichtsdebatte zu führen. Ich kann und werde der Verbreitung (des Diskussionsmaterials) nicht zustimmen.“ „Debatte“ ohne Verbreitung? Die Verfechter der Entschuldigungsrituale für die Toten vergehen sich an den Lebenden.
Das Fazit: Unser Kurt - so darf man wohl sagen - lebt. Er lebt nicht zuletzt durch die Biographie von Dr. Martin Balzer aus Marburg
Friedrich-Martin Balzer. Kurt Goldstein: Wir sind die letzten - fragt uns, Pahl-Rugenstein, Bonn 2004, 322 S., 24,90 Euro
„Vorwärts und nicht vergessen!“ Kurt Julius Goldstein. Ein Porträt von Ingrid Strobl. DVD, 56 Min. Vertrieb: F.-M. Balzer, Tel. 06421/24510 oder Email: fmbalzer@aol.com
In: Rotfuchs, Februar 2008, S. 6